Wie wird man Dolmetscher?
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Wer sich für den Beruf des Dolmetschers interessiert, der weiß vermutlich, dass es nicht reicht, verschiedene Sprachen zu sprechen. Trotzdem sind ein hohes Niveau der eigenen Muttersprache und einer oder mehrerer Fremdsprachen die Grundlage. Der Erwerb der Fremdsprachen ist nicht Hauptbestandteil des Studiums. Trotzdem entwickelt man sie im Laufe des Studiums natürlich automatisch weiter.
Das gilt auch für Menschen, die zweisprachig aufgewachsen sind. Je nachdem, wo man seine Kindheit oder Schulzeit verbracht hat, wie viel Kontakt man tatsächlich zu der Sprache hatte, gibt es hier Defizite, die man aufarbeiten muss, wenn man zum Beispiel bei Gericht dolmetschen will. Mit der Frage, wie viele Sprachen Dolmetscher für gewöhnlich sprechen, habe ich mich in diesem Blogeintrag beschäftigt.
Was genau lernt man eigentlich, wenn man die Sprachen schon vorher können muss?
Die Fremdsprachen eignet man sich vor Beginn des Studiums oder der Ausbildung an. Im Studium lernt man dann den folgenden geistigen Prozess - und übt ihn, bis er reibungslos abläuft:
Hören
Verstehen
Merken (Notieren)
Frei in einer anderen Sprache wiedergeben
Eigenen Output kontrollieren
Um dies mit der Schnelligkeit und für die Dauer tun zu können, die man im Berufsalltag braucht, müssen sich zunächst die kognitiven Fähigkeiten entwickeln. Damit meine ich, dass das Gehirn des „Nicht-Dolmetschers“ erst zum „Dolmetscher-Hirn“ werden muss.
Besonders deutlich wird das beim Simultandolmetschen. Das Gehirn muss erst lernen, gleichzeitig zuzuhören, zu verstehen, zu „übersetzen“ und sich dabei selbst zuzuhören, also den eigenen Output auch noch kontrollieren zu können. Man kann sich vorstellen, dass dieser komplexe Vorgang geübt werden muss.
Wie lernt man den Prozess des Dolmetschens?
Wichtig ist daran zu denken, dass Dolmetschen und Übersetzen unterschiedliche Dinge sind. Man lernt die Technik des Dolmetschens deshalb nicht, indem man schriftliche Texte mündlich wiedergibt. Beim Dolmetschen wird gesprochene Sprache übertragen - die ist ganz anders als ein ausgefeilter, schriftlich verfasster Text. Dementsprechend sollte in der Ausbildung auch der Fokus auf Reden liegen, nicht auf vorgelesenen Artikeln oder Berichten. Um den Prozess des Dolmetschens zu lernen, werden vielerorts die folgenden Techniken angewandt.
Das Gedächtnis trainieren
Zur Vorbereitung auf das eigentliche Dolmetschstudium haben wir uns als Studierende gegenseitig Dinge erzählt oder vorgelesen und versucht, sie uns zu merken. Zu Anfang war es für mich schwer, mir einen mittellangen Abschnitt eines kleinen Zeitungsartikels zu merken.
Lernen, die Ausgangsrede zu analysieren
Damit ist gemeint, dass man lernt, Sinneinheiten zu erkennen, denn wir können nur dolmetschen, was wir verstanden haben. Im Studium lernt man durch Üben, nicht sofort loszulegen und nachzuplappern sondern erst mit der Verdolmetschung zu beginnen, wenn man die erste Sinneinheit erkannt hat.
Notizentechnik und Shadowing
Für das konsekutive Dolmetschen ist eine Notizentechnik nötig, die man im Studium an einer Hochschule in der Regel lernt. Ich habe mich für die Notizentechnik für Dolmetscher immer besonders interessiert und gebe mittlerweile Kurse für Interessierte, Übersetzer und angehende Dolmetscher. Wie das Dolmetschen selbst ist auch das Erlernen der Notizentechnik ein Prozess.
Der Einstieg ins Simultandolmetschen ist häufig das sogenannte Shadowing. Man sitzt in der Dolmetschkabine (oder mit Kopfhörern am Computer, vor dem Tablet oder Handy) und spricht das, was man hört, nach. Zunächst reichen ein paar Minuten, denn auch das Nachsprechen ist schon sehr anstrengend.
Üben
Letztendlich entwickelt das Gehirn die Fähigkeit zum Dolmetschen durch Übung. Die verschiedenen Strategien, die man beigebracht bekommt, laufen nach und nach immer automatisierter ab. Zu Anfang werden Reden langsam vorgetragen oder es werden beim simulierten Verhandlungsdolmetschen nur einzelne Sätze gesagt und dann direkt übertragen. Die Schwierigkeit wird kontinuierlich gesteigert. Ganz besonders wichtig ist Feedback! Das, was man gedolmetscht hat, sollte ein Dritter, der Ahnung hat, später anhören, analysieren und verbessern. Oft macht man Fehler und merkt es selbst gar nicht. Durch das Erkennen der eigenen Fehler verbessert man seine Dolmetschtechnik.
Zum Ende eines Dolmetschstudiums kann man durchaus eine 20-minütige Rede simultan oder 10-15 Minuten konsekutiv dolmetschen. Es ist normal, dass man die Konzentration nach einiger Zeit schlechter halten kann oder sie nach einer Weile ganz verschwindet. Dann funktioniert zum Beispiel die Output-Kontrolle nicht mehr und man redet Unsinn, ohne es zu merken.
Wichtig ist also nicht nur, dass man gelernt hat, etwas von einer Sprache in die andere zu übertragen sondern auch, dass man es über einen langen Zeitraum und später auch einen ganzen Arbeitstag lang machen kann.
Wo kann man sich zum Dolmetscher ausbilden lassen?
Der Begriff des Dolmetschers ist nicht geschützt. Theoretisch kann sich also jeder so nennen. In der Praxis ist es so, dass man einen Abschluss braucht, um Aufträge von Unternehmen, Gerichten, Agenturen usw. zu bekommen. Die Ausbildungsmöglichkeiten und auch die Anforderungen an bestimmte Qualifikationen, zum Beispiel die Beeidigung, ändern sich von Zeit zu Zeit. Zweck dieses Artikels ist es, einen Überblick zu geben. Die Auflistung ist also nicht vollständig.
Hochschulen
Der übliche Weg zum professionellen Dolmetscher ist ein Hochschul-Studium. Folgende Universitäten bieten beispielsweise einen M.A. Konferenzdolmetschen an:
M.A. Konferenzdolmetschen |
Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch | |
M.A. Konferenzdolmetschen |
Englisch, Französisch, Spanisch als C-Sprache: Baskisch, Galicisch, Katalanisch, Portugiesisch, Russisch |
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M.A. Konferenzdolmetschen |
Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Neugriechisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Türkisch (z.T. eingeschränkt) |
Fachakademien und andere Ausbildungseinrichtungen
In Deutschland gibt es Fachakademien, an denen man sich zum Dolmetscher ausbilden lassen und einen Abschluss machen kann, mit dem man später die staatliche Prüfung machen kann. Es gibt außerdem relativ viele hier nicht aufgeführte Institute, die keinen Abschluss anbieten, aber auf die staatliche Prüfung vorbereiten.
M.A. Dolmetschen M.A. Konferenzdolmetschen (Deutsch‑chinesisches Double‑Degree) |
Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch, Türkisch |
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--> Staatlich geprüfter Dolmetscher |
Arabisch, Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch |
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--> Staatlich geprüfter Dolmetscher |
Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Italienisch, Chinesisch |
Welche Abschlüsse gibt es?
Master / Hochschulabschluss
An den Hochschulen macht man einen Master-Abschluss (früher war es das Diplom), z.B. den Master of Arts Konferenzdolmetschen an der Universität Heidelberg.
„Staatlich geprüfter Dolmetscher“
Mit der Ausbildung an einer Fachakademie kann man in einigen Bundesländern die staatliche Prüfung machen und sich dann „Staatlich geprüfter Dolmetscher“ nennen. Dieser staatliche Abschluss wird genauso wie ein Hochschulstudium als Grundlage für die Beeidigung anerkannt.
IHK-Prüfung zum „geprüften Dolmetscher“
Die Industrie- und Handelskammern bieten unterschiedliche Prüfungen zum „geprüften Dolmetscher“ an, die sich an Quereinsteiger mit guten Fremdsprachenkenntnissen richten.
Die Zusatzqualifikation zum „beeidigten Dolmetscher"
Die Beeidigung durch ein Oberlandesgericht ist kein Dolmetscher-Abschluss. Sie ist eine zusätzliche Qualifikation, die Dolmetscher mit einem Hochschulabschluss oder staatlich geprüfte Dolmetscher unter bestimmten Voraussetzungen erwerben können. Ist man beeidigter Dolmetscher, kann man für die Gerichte und ähnliche Einrichtungen arbeiten.
Was ein Dolmetscher bei Gericht, bei der Polizei oder in der Wirtschaft eigentlich so verdient, erkläre ich in diesem Beitrag.