Simultandolmetschen - wie geht das?

Eine Frage, die ich immer wieder höre, wenn ich Leuten erzähle, dass ich Simultandolmetscher bin, ist: „Wie funktioniert das eigentlich, gleichzeitig zuzuhören, im Kopf zu übersetzen und selbst zu sprechen?“. Eine einfache Frage, die allerdings nicht ganz so einfach zu beantworten ist. Die Antwort darauf hat auch die Wissenschaft noch nicht gefunden, es gibt allerdings laufende Forschungen.

Was ich als Dolmetscherin erklären kann, ist, wie sich das aus meiner Sicht anfühlt. Wie das ist, gleichzeitig zu hören, zu verstehen, zu übersetzen, zu sprechen, sich selbst zuzuhören und zu korrigieren.

Erst abwarten, dann reden

Nehmen wir an, ich werde für eine Fachkonferenz gebucht, bei der Experten aus Spanien (oder Lateinamerika) Vorträge halten. Im besten Fall gibt es eine professionelle Dolmetschkabine (die müssen nicht zur Ausstattung gehören, sondern sind mobil und können für Veranstaltungen gebucht werden). Im allerbesten Fall steht die Kabine so, dass ich den Rednern nicht nur hören sondern auch sehen kann.

Die Kabine, in der ich sitze, ist schallisoliert. Die Rede höre ich über Kopfhörer, die ich nur auf einer Seite trage - nicht aus modischen Gründen, sondern damit ich mich selbst reden höre und mich korrigieren kann. Der Vortrag geht los, und ich höre erst einmal nur zu. Zwischen dem, was der Redner sagt und meiner Übersetzung vergehen immer einige Sekunden. Der Fachbegriff dafür ist Décalage.

Wenn ich die erste Sinneinheit erfasst habe, beginne ich mit der Übersetzung. Dolmetscher sind keine Wörterbücher. Das, was wir übersetzen, ist der Inhalt, nicht jedes einzelne Wort. Unsere Arbeitssprachen beherrschen wir so gut, dass wir einfach sprechen, das Gehörte in einer anderen Sprache sagen - mal abgesehen von der Auflistung reiner Fachbegriffe, zum Beispiel aus den Bereichen Medizin oder Technik.  Der Übersetzungsprozess fühlt sich also oft nicht als solcher an.

Ein bisschen wie Autofahren und Telefonieren

Richtig los geht es eigentlich erst jetzt, denn während ich spreche geht die Rede weiter, ab jetzt muss ich also parallel dem Redner und mir selbst zuhören. Mit dem linken Ohr höre ich den Redner, mit dem rechten mich selbst.  Es fühlt sich ein bisschen so an, als ob die linke Gehirnhälfte damit  beschäftigt ist, dem Redner zu folgen und die rechte damit, in der anderen Sprache Text zu produzieren.  

Dafür steht, gefühlt zumindest, nicht so viel Konzentration zur Verfügung, wie für jede Leistung einzeln. Ein Beispiel: Wenn man beim Autofahren telefoniert, läuft beides intuitiv nebeneinander her. Trotzdem muss man seine Konzentration aufteilen. Wenn plötzlich etwas Unerwartetes passiert - ein anderes Auto unerwartet bremst - reagiert man langsamer und hört auch kurz auf zu sprechen, weil die Konzentration nicht mehr für beides ausreicht.

Man verteilt seine Konzentration also auf mehrere Dinge. Am Anfang eines Arbeitstages funktioniert das noch sehr gut, es bleibt sogar oft noch Zeit, nach einer schöneren Formulierung zu suchen.  Das liegt daran, dass diese Prozesse automatisch ablaufen. Ressourcen fressen sie trotzdem.

Energie sparen, bevor man heißläuft

Am Ende eines langen Arbeitstages kostet mich das Dolmetschen deutlich mehr Energie. Meine Kollegin und ich wechseln uns häufiger ab und unterstützen uns gegenseitig, indem wir zum Beispiel Zahlen notieren. Ich fasse mehr zusammen, vermeide komplizierte Satzkonstruktionen. 

Ein Dozent hat uns an der Uni mal erzählt, dass er als junger Dolmetscher einmal alleine über mehrere Stunden in der Kabine saß, mit nur wenigen kurzen Pausen. Er berichtete, dass ihm nach einer Weile schwindelig wurde und er das Gefühl hatte, die Denkprozesse würden im nächsten Moment zusammenbrechen, wie bei einem heißgelaufenen Motor. Maschinen sind Dolmetscher eben nicht. 

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